Einheitslok 99 6001

Lok 99 6001

Konstruktion 1

Allgemein:
gebaut unter Nutzung der zur damaligen Zeit neusten Erkenntnisse im Lokomotivbau als Heißdampf-Maschine
Kessel:
geschweißter Heißdampf-Kessel; Langkessel aus einem Schuß; ursprünglich eine selbstsaugende Dampfstrahlpumpe und eine Abdampfstrahlpumpe, die durch zwei Dampfstrahlpumpen Bauart Strube ersetz wurden
Rahmen:
Barrenrahmen aus 70 mm Blechen
Laufwerk:
die drei Kuppelachsen sind fest im Rahmen gelagert; vordere und hintere Laufachse in einem Bissel-Gestell
Zylinder:
Zylinder mit vereinfachten Trofimow-Kolbenschiebern (ursprünglich Druckausgleich-Kolbenschieber der Bauart Schulz)
Triebwerk und Steuerung:
die hinterste Kuppelachse dient als Treibachse; außenliegende Heusinger-Steuerung mit Kuhnscher Schleife; innere Einströmung; einschienige Gleitbahn
Bremsausrüstung:
bei Auslieferung Wurfhebel-Handbremse; Hardy-Saugluftbremse; Riggenbach-Gegendruckbremse
nach 1956 Einbau einer zweistufigen Luftpumpe; Ersatz der Gegendruckbremse durch direkt wirkende Druckluftbremse; Saugluftbremse Hardy mit Vakuum-Druckluftventi
1986 Umbau auf Druckluftbremse KE m. Z. und Ausbau der Saugluftbremse;
Weitere Ausstattung:
Dampfläutewerk (später Druckluftläutewerk)
anfangs 2,5 kW später 0,5 kW Turbo-Generator für Fahrzeugbeleuchtung

 

Foto

Lok 99 6001 am 25.04.2011 im Bahnhof Stiege zum Vergleich
Lok 99 6001 am 25.04.2011 im Bahnhof Stiege zum Vergleich
Foto: Klaus Gottschling

Daten
Betriebsnummern 1) NWE 21II (1939) - 99 6001 (1949)
Hersteller Krupp, Essen
Baujahr(e) 1939
Fabriknummer(n) 1875
Baureihe 99600
Betriebsgattung 3) K 35.10
Kurzbezeichnung 4) 1' C1' h2t
Leermasse 37,8 t
Dienstmasse
(2/3 Vorräte)
45,3 t
Länge über Puffer
(LüP)
8910 mm
Höhe über SO 3650 mm
Treibraddurchmesser 1000 mm
Höchstgeschwindigkeit
(vorw./rückw.)
50/50 km/h
indizierte Leistung 400 kW (540 PS)
Zugkraft 72,5 kN
kleinster befahrbarer
Gleisbogen
55 m
Kesselüberdruck 14 bar
Kohlevorrat *) 2,0 t
Wasservorrat 5,0 m3
Bremse KE m. Z., Riggenbach-Gegendruckbremse, Wurfhebel-Handbremse
*) vor Vergrößerung des Tenders
weitere Informationen bei:
"Dampf mitten im Harz" (Holger Voigt)
kein Vorschaubild
Lok 99 6001 mit grünem Anstrich und NWE-Nummer 21 am 19.04.1992 im Bahnhof Sternhaus Ramberg
Foto: Siegmar Frenzel
Lok 99 6001 am 12.04.2014 im Bahnhof Gernrode
Lok 99 6001 am 12.04.2014 im Bahnhof Gernrode
Foto: Klaus Gottschling
Fabrikschild am Zylinder der Lok 99 6001
Fabrikschild am Zylinder der Lok 99 6001
Foto: Klaus Gottschling
Anschriften am Führerhaus von Lok 99 6001
Anschriften am Führerhaus von Lok 99 6001 (12.04.2014)
Foto: Klaus Gottschling

Lokomotiv-Lebenslauf

Die B' B-Malletloks der NWE wiesen in den 1930er Jahren ein recht hohes Alter auf, waren sehr wartungsintensiv und als Nassdampflok unwirtschaftlich (hoher Wasser- und Kohlenverbrauch). Neuere Gelenkloks mit der Achsfolge (1'B)' B1' und C' C bewährten sich auf der Harzquerbahn nicht besonders. Es bestand jedoch Bedarf an leistungsstarken Maschinen. Deshalb erhielt die Firma Krupp in Essen den Auftrag zur Entwicklung einer Serie von Einheits-Loks mit den Achsfolgen 1' C 1', 1' D 1' und 1' E 1'.
Es entstand zunächst der Prototyp einer 1' C 1'-Lok, die den Höchststand des Lokomotivbaus der 1930er Jahre repräsentierte.
Die hervorragenden Laufeigenschaften der Maschine ließen die bis dahin für 1000-mm-Lokomotiven ungewöhnliche Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h zu. Das tänzelnde Fahrverhalten der kurzen Lok brachte ihr den Beinamen „Ballerina“ ein.
Am 14. Juli 1939 fand eine Probefahrt zwischen Wernigerode und Brocken statt. Obwohl die als NWE 21II (II = Zweitbesetzung der Nummer) eingeordnete Lok alle in sie gesetzten Erwartungen erfüllte, kam es nicht zur Entwicklung weiterer Loks für die anderen geplanten Achsfolgen und auch nicht zur Serienfertigung. Nach Auslösung des zweiten Weltkrieges hatte die Produktion von Kriegslokomotiven Vorrang vor der Herstellung von Schmalspurloks für als unbedeutend eingestufte Bahnen. Deshalb erhielt die Gernrode-Harzgeroder Eisenbahn-Gesellschaft (GHE) auch keine der 1943/44 bestellten 1' C 1'-Loks.

Die NWE setzte ihre neue Lok von Wernigerode aus für Personenzüge zum Brocken und nach Nordhausen sowie für Güterzüge nach Benneckenstein ein. Im Jahr 1944 wurde die NWE 21II in Nordhausen stationiert. Einsatzgebiet war zwischen Nordhausen und Ilfeld und ab April 1946 – nach dem die NWE mit der Betriebsführung auf dem nicht demontierten Streckenabschnitt der GHE beauftragt wurde – auch die Strecke Eisfelder Talmühle – Stiege – Hasselfelde.

Nach Übernahme der Schmalspurbahnen im ostdeutschen Harz durch die Deutsche Reichsbahn (DR) im April 1949 wurde gemäß des ab 01.01.1950 geltenden Nummernplans für ehemalige Privatbahnloks aus Lok NWE 21II die Lok 99 6001.
Die DR stationierte Lok 99 6001 1949 in Wernigerode, da ab Mai an Sonn- und Feiertagen und ab 28.05.1950 (Beginn des Sommerfahrplans) täglich wieder Züge zum Brocken fuhren.
Zur weiteren Stationierung der Lok gibt es widersprüchliche Aussagen. Röper; Zieglgänsberger [Selketalbahn, 1989] S. 90 schreiben, dass – als 1956 „Neubauloks“ aus Babelsberg auf der Harzquer- und Brockenbahn zur Verfügung standen – die Lok 99 6001 mit den Malletloks nach Gernrode auf die Selketalbahn kam. Weisbrod u.a. [Lok-Archiv, 1996] S. 235 schreiben hingegen, dass die Lok 99 6001 erst ab 1971 hauptsächlich in Gernrode stationiert ist. Die Widersprüche lassen sich nicht durch einen Blick in das Betriebsbuch der Lok klären, da dieses 1988 gestohlen wurde. Aufgrund von Fotos erscheinen die Angaben in Pilkenrodt [Ballerina, 2003] S. 62 ff. am plausibelsten. Demnach wurde 1956 der Lokbahnhof Hasselfelde neue Heimat der Lok 99 6001. Die Malletloks waren für die Güterzüge zu schwach und die Loks der BR 9923–24 für den schlechten Oberbau der Strecke Eisfelder Talmühle – Hasselfelde zu schwer.
Nach 1956 erfolgte der Umbau der Bremsausrüstung analog zur Ausrüstung der Neubauloks. Die Lok 99 6001 erhielt ein Vakuum-Druckluftventil für die Hardy-Saugluftbremse und eine zweistufige Luftpumpe. Die Gegendruckbremse wurde durch eine direkt wirkende Druckluftbremse, das Dampfläutewerk durch ein Druckluftläutewerk ersetzt.
1959 kam Lok 99 6001 nach Wernigerode als Vorspannlok für Züge mit zehn Wagen zum Brocken. Den Einsatz von zwei Loks der BR 9923–24 hatte die Verwaltung der Maschinenwirtschaft (VdM) der Rbd Magdeburg mit Verweis auf zu schwache Zugketten verboten.
Da 1960 die Hauptverwaltung Maschinenwirtschaft (HvM) der DR zur Verbesserung der Leerlaufeigenschaften bei den Schmalspurdampfloks anordnete, die Kolbenschieber der Bauart Schulz gegen Trofimoff-Kolbenschieber auszutauschen, erhielt Lok 99 6001 auch Trofimoff-Kolbenschieber.
Durch verstärkte Sicherung der innerdeutschen Grenze wurde August 1961 der Reisezugverkehr zum Brocken eingestellt. Einsatzgebiet der Lok 99 6001 war dann der Rollbockverkehr in Wernigerode.
Bei einem Aufenthalt im Raw Görlitz 1964/1965 mussten Feuerbüchse, Stehkessel und Kohlekasten erneuert werden. Der Tender erhielt einen geschweißten Aufsatz. Laut Pilkenrodt [Ballerina, 2003] S. 62 ff. kam die Maschine erstmals 1962 für kurze Zeit bei der Est Gernrode zum Einsatz. Erst 1966 wurde sie Stammlok in Gernrode.
Bei dem Gernröder Lokpersonal hat sich Lok 99 6001 schnell beliebt gemacht. Im Vergleich zu den Malletloks besitzt sie ein geräumiges, geschlossenes Führerhaus. Der Kohlekasten an der Führerhausrückwand ist eine erhebliche Arbeitserleichterung für den Heizer. Der Pflegeaufwand ist bei zwei Triebwerken geringer als bei den Malletloks mit ihren vier Triebwerken. Die Zugkraft ist höher. Das sind einige Gründe, weshalb die kleine Lok auch „Pippi“ genannt wird.

Ende der 1960er Jahre hat sich das Aussehen der Lok erneut geändert. Die gekümpelte Rauchkammertür mit Zentralverschluss wurde wegen Verschleiß durch eine flache Tür mit Vorreibern ersetzt. Den Lüftungsaufsatz auf dem Führerhausdach hat man durch einen niedrigeren Aufsatz mit Dachfenster ersetzt.

Im Jahr 1970 führte die DR EDV-gerechte Fahrzeugnummern ein. Die Betriebsnummer 99 6001 wurde in 99 6001-4 geändert.
1983 legte die Rbd Magdeburg im „Aufgaben- und Kontrollplan zur Sicherung der Leistungsfähigkeit des Harzer Schmalspurnetzes“ fest, dass der Erhalt von Lok 99 6001 zu sichern ist.
Als der Personenverkehr auf der wiedererbauten Strecke Straßberg -– Stiege aufgenommen wurde, durfte die Lok 99 6001 am 03.06.1984 den ersten regulären Reisezug auf dieser Relation ziehen.
Per Festlegung vom 01.01.1986 erklärte die Hauptverwaltung Maschinenwirtschaft (HvM) der DR in Berlin Lok 99 6001 zu einem erhaltenswerten, historischen Fahrzeug (technisches Denkmal).

Aufgrund der Probleme mit der Ersatzteilbeschaffung für die Saugluftbremsen (Rollringe aus Spezialgummi u. a. m. waren nur gegen Devisen im westlichen Ausland zu bekommen.) hatte die DR 1980 die schrittweise Umrüstung der Schmalspurfahrzeuge im Harz auf Druckluftbremse beschlossen. Im Juli 1986 erfolgte im Bw Wernigerode Westerntor die Umrüstung der Lok 99 6001. Am 30.07.1986 zog sie auf der Selketalbahn den ersten regulären Personenzug mit Druckluftbremsen.

Die DR sah sich nicht in der Lage ohne große Änderungen am Aussehen, die Malletloks 99 5901 – 99 5903 auf Druckluftbremse umzurüsten. Da bis 1991 auch die Wagen des „Traditionszuges“ umgerüstet wurden, war absehbar, dass die Malletloks nicht mehr für die Sonderfahrten zur Verfügung stehen. Bei der Reichsbahn kam man auf die Idee, als Ersatz Lok 99 6001 zu verwenden, da die noch aus Zeiten der NWE stammt. Man schickte die Lok im Oktober 1990 zur Hauptuntersuchung (L6) ins Raw Görlitz. Zurück in den Harz kam die Lok im Frühjahr 1991 mit giftgrünen Wasserkästen, Führerhaus und Kohlekasten sowie Schildern „NWE 21“. Dieses Aussehen der Lok stieß bei vielen Eisenbahnern im Harz und bei Eisenbahnfreunden auf wenig Verständnis. Angeblich sei die Lok 1939 so ausgeliefert worden. Dabei hat man den grauen Fotografieranstrich auf einem Schwarz/Weiß-Foto falsch als grünen Länderbahnanstrich interpretiert. 1939 gab es keine Länderbahnen mehr. Die NWE war eine Privatbahn. Auf anderen Fotos vom Auslieferungszustand sind Wasserkästen und Führerhaus genau so dunkel wie der schwarze Kessel. Die Lok bekam unverschuldet den Beinamen „Laubfrosch“.
Zur feierlichen Wiedereröffnung der Brockenbahn am 15.09.1991 sollte Lok 99 5903 an der Spitze des ersten der zwei Sonderzüge fahren. Die Lok erhielt mangels Druckluftbremse ein Druckluft-Steuerventil und eine Hauptluftleitung. Als Drucklufterzeuger diente die hinter der 99 5903 fahrende Lok 99 6001.
In den Sommermonaten war die 99 6001 zwecks Sonderzugdienst in Wernigerode stationiert. Von Herbst bis Frühjahr fuhr sie auf der Selketalbahn.

Bei der Privatisierung der Harzer Schmalspurbahnen wurde Lok 99 6001 zum 1. Februar 1993 in das Eigentum der HSB überführt.
Die HSB stationierte die Lok ganzjährig bei der Est Gernrode. Für den Sonderzugdienst war sie entbehrlich geworden. Die Loks 99 5901 und 99 5903 waren 1993 bzw. 1992 auf Druckluftbremse umgerüstet worden und konnten somit wieder alleine vor dem „Traditionszug“ eingesetzt werden.
Am 11. Mai 1994 kam der Lok 99 6001 die Ehre zu, den ersten Zug zu befördern, der nach dem verheerenden April-Hochwasser und der Wiederherstellung der Gleisanlagen im Selketal fuhr.
Nach dem Zusammenprall mit einem LKW am 29.06.1994 ließ die HSB die Lok in Meiningen reparieren und wieder den historisch korrekten schwarz/roten Anstrich aufbringen.

Im Oktober 2012 erlitt Lok 99 6001 einen Kesselschaden. Die HU im Dampflokwerk Meinigen mit Neuanfertigung von Kessel, Wasserkästen und Kohlekasten zogen sich bis Januar 2014 hin. Erst nach einer Menge Nacharbeiten hat die Lok am 12.02.2014 die Abnahmefahrt bestanden.
Im Zusammenhang mit der HU gab es ein paar Änderungen am Erscheinungsbild der Lok.
Seit etwa August 2014 sind an der Lok 99 6001 Nummernschilder mit Bahnnummer (Spitzziffern) ohne Selbstkontrollziffer befestigt.
Nach einem Jahr Werkstattaufenthalt und bestandener Lastprobefahrt am 20.07.2023 war Lok 99 6001 wieder betriebsfähig.

Am 23.09.2024 (Mo.) war die Lok – seit vielen Jahren Stammlok auf der Selketalbahn – wegen Fristablauf vorerst zum letzten Mal im Einsatz (Plandienst). Sie wurde am Abend nach Wernigerode überführt.
Eine Hauptuntersuchung (HU) ist von der Harzer Schmalspurbahnen GmbH (HSB) aus Kostengründen nicht vor Ende 2025 vorgesehen.



1
In Weisbrod u.a. [Lok-Archiv, 1996] wird die technische Ausstattung der Lok (z.B. Bremsausrüstung im Auslieferungszustand) nicht korrekt wiedergegeben.

Literaturquellen

[Selketalbahn, 1989] Röper, Hans; Zieglgänsberger, Gerhard:
Die Selketalbahn. 3. Aufl., transpress VEB Verlag für Verkehrswesen, Berlin 1989. ISBN 3 344 00305 4

[Lok-Archiv, 1996] Weisbrod, Manfred u.a.:
99600. In: Deutsches Lok-Archiv: Dampflokomotiven 4 – Baureihe 99. transpress Verlagsgesellschaft, Berlin 1996. ISBN 3 344 70903 8

[Ballerina, 2003] Pilkenrodt, Werner:
Prima-Ballerina (Lok 99 6001). Edition Fahrzeug-Chronik, (Hrsg.) Dirk Endisch, Band 2, Verlag Dirk Endisch, Leonberg-Höfingen 2003. ISSN 3 93689 01 2

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